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Für die Contraden in Siena bedeuten die wenigen Sekunden des Palio eine Entscheidung zwischen Himmel und Hölle. Zweimal im Jahr, am 2. Juli und 16. August, geht es um die Ehre eines ganzen Stadtteils. Für die Einheimischen ein zentrales Ereignis, für die Touristen ein buntes Spektakel, bei dem das Mitleid mit den Pferden wohl im Mittelpunkt steht. Farben, Menschenmassen, Freudenschreie, ein mit Tufferde bedeckter Platz, zehn Pferde, die von zehn Reitern ohne Sattel für ein nur wenige Sekunden dauerndes Rennen geritten werden. Das ist der Palio für diejenigen, die ihn zum ersten Mal sehen. Für die Sienesen ist er Leben, Leidenschaft, Geschichte. Er ist das Wunder eines Spiels, das zum eigentlichen Leben wird, in dem Freude und Schmerzen, Mut und Intrigen, Treue und Verrat ihren Platz finden. Eine Erbschaft des Mittelalters, die am 2. Juli (Palio der "Madonna di Provenzano") und am 16. August (Palio zu "Mariae Himmelfahrt") das Stadtleben von Siena aus den Angeln hebt. In einer Region wie der Toskana mit Guelfen und Ghibellinen, wo das Anderssein zum Lebensinhalt wird, bedeutet der Palio das Höchste der Gefühle für einen Menschen aus der Sieneser Toskana. In Siena ist der Palio der Zeitmesser. Das Contradenjahr beginnt am 1. Dezember zu Sankt Ansanus, Schutzpatron Sienas, und erlebt im Frühjahr seinen ersten Höhepunkt, wenn die zehn Contraden ausgelost werden, die am 2. Juli am Rennen teilnehmen. Von Ende April bis Mitte September feiert jeder Stadtteil das Fest seines Schutzheiligen. Es handelt sich um ganz besondere Tage, an denen traditionsreiche Freundschaftspakte und Allianzen erneuert werden: die jungen Burschen der Contrada tragen stolz die historischen Kostüme, ziehen trommelnd und Fahnen schwenkend durch die Straßen der Stadt auf dem Weg zu den anderen Contraden, um diese zu ehren. Es gibt siebzehn Contraden innerhalb der alten Stadtmaueern mit engen Gassen, in denen während der Tage des Palio leidenschaftliche Diskussionen zu hören sind. Seit fünf Jahrhunderten ein Jahr für Jahr wiederkehrendes Ereignis, das heute jedesmal Tausende von Touristen angelockt. Die Contrada ist eine Institution, die sich unverändert erhalten hat. Sie wird von einem Consiglio di Sedia (Rat) wie ein kleiner, unabhängiger Staat verwaltet. So war es im Mittelalter und so ist es auch heute noch. Der Palio in seiner heutigen Form geht auf das Jahr 1633 zurück, auch wenn in den vorausgegangenen Jahrhunderten der sogenannte "Palio alla lunga", d.h. durch die Straßen der Stadt mit reiterlosen Pferden, mit "Cavalli scossi" - wie man in Siena sagt - gelaufen wurde. Auf der Piazza fanden damals andere Spiele statt. Heute bedeutet die Contrada nicht nur Pferderennen, sondern auch das Zentrum eines regen sozialen Lebens. Wie in einem kleinen Dorf hat jede ihre eigene Kirche, in der die Hochzeiten gefeiert werden, einen Taufbrunnen, ein Museum, in dem die Siegesbanner ausgestellt sind, historische Paläste, die erhalten werden müssen. Hierfür gibt es sogar ein jährliches Budget der Sieneser Bank Monte dei Paschi di Siena, das wohl älteste Geldinstitut der Welt.
Es sind Tage, in denen Regeln und Verbote verschwinden. In der Zwischenzeit beginnen auch die Probeläufe und die Tage vergehen mit Gesängen, Fahnenschwingen und Festessen, bei denen die langen Speisetafeln in den kurvenreichen Gassen aufgebaut werden und wo die Abendessen zu Ritualen werden, die Fortuna günstig stimmen sollen.
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